Der Norbert Wollheim-Prozess
Norbert Wollheim, 1948
Source: USHMM, courtesy of Norbert Wollheim
Deutschland, 1952. Nur sieben Jahren nach Ende des zweiten Weltkriegs sind alle verurteilten Kriegsverbrecher des Nürnberger Tribunals gegen IG Farben wieder aus dem Gefängnis entlassen. Zur gleichen Zeit aber fällt ein Urteil, das internationales Aufsehen erregen sollte: Der ehemalige Zwangsarbeiter Norbert Wollheim siegt im Schadensersatz-Prozess gegen die IG Farben.
Die Entschädigung wird auf 10.000 DM festgelegt. Entscheidend ist aber weniger die Summe – es ist der erste Prozess eines versklavten ehemaligen „Mitarbeiters“ der IG Farben. Norbert Wollheim – in Deutschland geborener Jude, der 1951 in die USA auswandert – gibt durch seine Entscheidung zur Klage ein Beispiel für viele Überlebende. 1953 wird ein außergerichtlicher Vergleich erzielt, der die IG Farben i.L. zu einer Zahlung von 30 Millionen DM an die Jewish Claims Conference verpflichtete. Das Geld wurde anschließend an die Überlebenden verteilt.
Die Klageschrift, Grundlage für den Prozess, stellt die Verantwortung der IG Farben an den menschenverachtenden Vorgängen im KZ Auschwitz und der angegliederten Fabrik IG Auschwitz deutlich dar:
- „Erst während dieser Prozedur [Empfang im Lager und Desinfektion] erfuhr der Kläger [Norbert Wollheim] (…) dass Monowitz ein Arbeitslager sei, in dem Häftlinge konzentriert seien, um Zwangsarbeit für das I.G. Farben-Werk Buna zu leisten. Wenn er am Leben bleiben wolle, müsse er sich ganz darauf einstellen, die schwere Arbeit zu verrichten, die die I.G. Farben fordere.“
- „Der erste Arbeitseinsatz des Klägers im Werk Buna war am 15. März 1943, und zwar in dem von den Häftlingen als „Mordkommando“ bezeichneten Arbeitskommando IV. Dieses Kommando hatte Transportarbeiten schwerster Art (Zementsäcke, Formeisen u.a.), und zwar während des ganzen Tages imLaufschritt, auszuführen.“
- „Die primitivsten Arbeitsschutzvorrichtungen fehlten. Fast bis zum Herbst 1943 musste der Kläger die Schweissarbeiten ohne Schweissbrille durchführen.“
- „Für die Erteilung der Arbeitsaufträge waren ausschliesslich die deutschen I.G.-Meister zuständig, die ihre Anweisungen von der Leitung der I.G. Farben in Auschwitz erhielten. Arbeitstempo und Arbeitsintensität wurden weit mehr von den I.G.-Meistern und I.G.-Zivilkontrolleuren als von den SS-Blockführern bestimmt und überwacht.“
- „Das I.G.-Personal zeichnete sich durch besondere Brutalität aus und versuchte, die SS womöglich noch zu übertreffen. Häftlinge, die zusammenbrachen, wurden von den deutschen I.G.-Meistern oder auf deren Geheiss von den Kapos geprügelt, bis sie entweder die Arbeit wieder aufnahmen oder tot liegenblieben.“
- „Die I.G.-Meister wurden in ihrer Brutalität durch die leitenden Beamten der I.G. unterstützt und ermutigt. Besonders die Inspekteure der I.G., in der Regel fanatische Nazis, waren im ganzen Lager gefürchtet und benutzten jede Gelegenheit angeblich mangelhafter Arbeitsleistung zur Erstattung von Meldungen and die SS-Kommandatur und and die SS-Kommandostelle.“
- „Der im Nürnberger Prozess mit 8 Jahren Gefängnis bestrafte Chefingenieur und Bauleiter [Walter] Dürrfeld hat verschiedentlich schriftliche Anweisungen an die I.G.-Meister erteilt, die dazu bestimmt waren, die Häftlinge zu höchster Arbeitsleistung anzutreiben. In diesen Anweisungen wurden die Meister aufgefordert, im Falle mangelnden Arbeitseifers sofort Meldung an die SS-Kommandantur zu erstatten.“
- „Die Arbeitszeit betrug durchschnittlich 72 Stunden in der Woche.“
- „Die Beklagte [I.G. Farben] hatte vor allen Dingen auch Kenntnis davon, dass die Häftlinge sich buchstäblich zu Tode arbeiteten. Denn es war allgemein bekannt, dass Häftlinge, die zu schwach zur Leistung der schweren Arbeiten waren, gemeldet und nach ärztlicher Untersuchung von der SS in das Sonderlager Birkenau zur Vergasung gebracht wurden.“
Die Zitate sind der Klageschrift entnommen, die 1951 am Landgericht Frankfurt angenommen wurde. Den kompletten Text der Klageschrift finden Sie hier (PDF, 489 kB).